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Der Salonlöwe: Ein Gespräch mit Phil Porter

Das letzte Mal, als ich Phil Porter getroffen habe, trug er einen Zylinder, einen schwarzen Umhang und lange spitze Fingernägel. Ein Dreivierteljahr später sitzt der Fotograf eher lässig gekleidet vor mir, im weißen Tanktop und offenen Hemd, die Nägel weg, die Haare abrasiert. Seine Art, zumindest wie ich sie aus unseren wenigen Begegnungen kenne, ist jedoch die gleiche: eine beschwingte Fröhlichkeit, die beinahe aufgesetzt wirkt, wäre da nicht ehrliches Feuer in seinen Augen und eine immer präsente Bereitschaft zur ernsthaften Selbstkritik. Phil liebt das verbale Duell, hat eine Leidenschaft für komplexe Metaphern und das Wort „wunderbar“. Seine oft aphorismen-tauglichen Sprüche kommen meist wie aus der Pistole geschossen. Über seine Fotos sagen die meisten Menschen: So etwas habe ich noch nie gesehen. Am Abend vor seinem 29. Geburtstag habe ich mich in sein farbenprächtiges Bremer Atelier einladen lassen, um einen Einblick in sein Seelen- und Geschäftsleben zu bekommen.

Phil Porter by Nele Meyer

Fotos: © Nele Meyer / Nureinfoto

Natalia: Bist du Bremens extravagantester Bewohner?

Phil: Nö. Ich würde sogar sagen, ich bin einer der schlichtesten.

N: Das überrascht mich. Bis auf einen Mann, der öfter in einem Tanga und oberschenkelhohen Lackstiefeln in der Innenstadt flanierte, habe ich Bremen eher grau in Erinnerung. 

P: Schon Henning Scherf hat formuliert: Grau ist bunt. (lacht) Die Frage ist natürlich: Was ist Extravaganz? Ein Garten mit Rosen – für uns die Oberspießigkeit – ist für manche womöglich die spannendste Opulenz auf Erden.  

N: Anders gefragt: Wie gerne fällst du auf? 

P: Gar nicht. Mir wird oft unterstellt, ich würde etwas machen, um aufzufallen, vielleicht weil die wenigsten eine Chance bekommen, sich individuell zu verwirklichen. In Wahrheit lebe ich einfach meine Normalität. Es ist kein Theater und keine Provokation. Ich will nicht zeigen: „Das bin ich“, ich möchte nur so sein, wie ich bin. 

N: Stimmt das, dass du im Anzug zur Schule gegangen bist?

P: In den schlechtesten Anzügen und den schrecklichsten Hemden, die schon damals in den 90ern unmodern und hässlich waren. Aber hätte ich das nicht gemacht, wüsste ich heute nicht, wie ich mich stilistisch einwandfrei kleide. Ich habe das mittlerweile, wie du siehst, etwas abgelegt. Ich glaube, zum einen war das eine Schutzfunktion, weil ich mich mit den Leuten, die mich damals verprügelt haben, nicht identifizieren wollte – was die getragen haben, waren für mich die Uniformen des Bösen. 

N: Dein Atelier ist zugleich deine Wohnung.

P: Ja, und man kann hier jederzeit einkehren. Wenn die Öffnungszeiten vorbei sind, ist das hier mein Wohnzimmer.

N:  Ist es nicht seltsam, wenn in deiner Wohnung ständig Besucher sind? 

P: Wenn ich nicht aufpasse, und den Schlüssel nicht in der Tür umdrehe, kann es schon mal passieren, dass hier Leute reinkommen und ich nackt im Bett liege. 

N: Gehört das dazu? 

P: Manche freuen sich durchaus über solche Erlebnisse. Einmal legten sich Besucher einfach in mein Bett. Sie dachten, es wäre Requisite. Nach diesem Vorfall werde ich das Bett in mein Ankleidezimmer verfrachten. Dann kann man nur darein, wenn man hier ein Shooting bucht.

N: Wie viel hat Phil Porter eigentlich mit Daniel Schuster zu tun? 

P: Grundsätzlich ist Phil Porter nur eine Umschreibung, hinter der Daniel Schuster steckt. Der Name Phil Porter lässt sich leichter merken und passt besser auf eine Visitenkarte. Und ich habe fünf Martini getrunken, als dieser Name zu mir kam. (lacht aus vollem Hals)

N: Verrate mir mehr. 

P: Das war in meinem Kinderzimmer. Ich war 16 oder 17. Es lief Jazz, zwar nicht Cole Porter, aber der kam mir in den Sinn, und somit war Porter schon gesetzt…

N: … und dann kam Phil Collins. 

P: Nein, zum Glück nicht! Philipp ist mein Zweitname. Ich hatte in meinem Zimmer ein großes Götzenbild von Marilyn Monroe, damals und heute noch stilistisch mein größtmögliches Idol. Marilyn Monroe klingt fast so wunderbar wie Musik – der Name legt sich ins Ohr, schmeichelt, kuschelt sich ein, und löst sich irgendwann ganz langsam raus. (lacht) Das wollte ich auf männlicher Ebene machen. Weil Marilyn Manson schon vergeben war, musste ich mir etwas anderes suchen. Phil Porter war die Alternative. 

N: Hattest du damals schon einen Plan, was du mit diesem Namen machen wolltest?

P: Kunst. Es war mir wichtig, einen Künstlernamen zu haben, weil: Was ist, wenn man scheitert? Dann muss man mit seinem Namen irgendwie weiterleben. 

N: Hattest du schon als Kind die Vorstellung, Künstler zu sein?

P: In dem Moment, wenn man die Vorstellung hat, ist man schon Künstler. Ich glaube, Künstler ist nicht dieses klischeehafte und romantisierte Bild, das man gerne den Medien verkauft. Jemand, der ein Tischbein drechselt ist genauso Künstler, wie eine Fleischereifachverkäuferin, die die Wurst in eine richtige Scheibe schneiden kann.

Nele Meyer / Nureinfoto

N: Deine Sets sind meist unfassbar aufwendig gestaltet. Hat Inszenierung schon immer eine große Rolle für dich gespielt? 

P: Im Grunde ist alles, was wir tun, Inszenierung, nur oft unbewusst: Das Haus, die Wohnung, unsere Profile in den Sozialen Medien. Ich bin kein Fotograf im klassischen Sinne und möchte es auch nicht sein. Für mich ist die Kommunikation mit Menschen enorm wichtig, deswegen gibt es bei mir immer ein intensives Vorgespräch, wo man etwas übereinander erfährt, fernab der Smalltalkbasis. Natürlich könnte ich vieles am Computer zusammenschustern, aber das hätte nicht mehr viel mit dem Menschen zu tun, den ich zeigen und charakterisieren möchte. Wir machen die richtige Musik zum Thema an: Wenn wir ein Dschungelshooting haben, dann läuft Dschungelmusik. Wir haben Düfte, Räucherstäbchen, und versuchen die Menschen wirklich in diese Welt zu entführen, diese Illusion real zu machen. Das ist für mich der Grund, warum wir das so krass aufbauen. Es ist Theater, barocke Opulenz – für ein kleines Bild. Aber in dieser Opulenz entsteht so viel Intimität und so viel Ehrlichkeit, die man bei den computergenerierten Sachen nicht erreichen kann. 

N: Du suchst also die Authentizität in der Inszenierung.

P: Korrekt. Wir bieten die Illusion. Gleichzeitig sieht man in unseren Bildern immer, dass es nur eine Illusion ist. Das heißt, wir zeigen auch den Blick hinter die Kulissen. Du siehst immer irgendwelche Fäden. Das ist genau der Zwischenbereich, in dem ich mich gerne aufhalte. 

N: Wer gehört zum Wir?

P: Der wunderbare Fotograf Linus Klose und mein Mediengestalter Ben Drücker, beides Auszubildende. Wir arbeiten mit vielen Maskenbildnern, Requisiteuren, alles sehr schöne und spannende Persönlichkeiten. 

N: Du beschäftigst dich viel mit Vergangenheit. Sowohl in den Bildern, aber auch auf der Webseite und in deinen Texten schwingt ein bestimmter Ton mit…

P: Vielleicht von der Ästhetik. Die Vergangenheit an sich ist mir zuwider. 

N: Warum? 

P: Ich mag es nicht, mich mit Vergangenheit auseinanderzusetzen, denn sie hindert mich immer daran, in die Zukunft zu blicken – oder in der Gegenwart zu sein. Ich gucke nicht gern zurück. 

N: Ist Fotografie nicht an sich das Festhalten vergangener Momente?  

P: Ja, und das letzte Bild, was ich gemacht habe, so wunderbar es für andere sein mag, schaue ich mir nur ungern an. Ich entwickle schnell eine Aversion gegen das, was ich gemacht habe. Ich weiß nicht, warum. Meine Eltern haben gerade ihr Haus aufgelöst, alles voller Kindheitserinnerungen, und ich hatte zwar einen Abend, an dem ich eine oder zwei Tränen vergossen habe, aber ich sagte zu ihnen: Alles, was ihr von mir findet – schmeißt das weg. Ich habe es in den letzten zehn Jahren nicht vermisst. Und wenn ich es mir anschaue, dann denke ich an meine Vergangenheit zurück. Warum sollte ich das tun? Dafür ist mein Leben viel zu kurz. Wenn ich mich ständig in der Vergangenheit aufhalte, kann ich vielleicht Lehren daraus ziehen, aber das kann ich auch machen, indem ich gleich neue Sachen mache.

N: Magst du deine Vergangenheit nicht?

P: Korrekt. Und das fängt schon damit an, dass mir der letzte Tag nicht gefällt. (lacht)

N: Es will nicht in meinen Kopf: Du feierst barocke Feste, du hörst Jazz, du magst Marilyn Monroe…

P: …weil es meinem Wesen entspricht, und nicht, weil es in der Vergangenheit liegt.

Phil Porter by Nele Meyer

N: Wie bist du aufgewachsen? 

P: (grinst) Gar nicht.

N: Schöne Antwort.

P: Meine Eltern sind Gastronomen. Was hat mir das Elternhaus mitgegeben? In erster Linie den Gedanken, dass Kreativität cool ist und dass man das durchziehen sollte. Sie hatten gewisse Probleme mit der Homosexualität. Das hat viel in mir kaputt gemacht und mir erst dann wieder Stärke gegeben, als sich die Familie zusammengesetzt hat, und mein Bruder einen Satz gesagt hat, den ich nie vergessen werde. Der sollte groß über dem Brandenburger Tor stehen: „Ihr toleriert es zwar, aber ihr akzeptiert es nicht.“ Alle sagen immer: Wir sind da tolerant…fickt euch mit eurer Toleranz. Akzeptanz braucht man. Nachdem dieses große Gespräch da war, und mein Vater sich irgendwann für etwas entschuldigt hat, was er mal gesagt hat, erst dann hab ich meine Familie wieder als Familie gesehen. Meine Familie war nie schlecht zu mir, nie, aber dieses Gefühl, dann auch wirklich dazuzugehören und vollends respektiert zu werden, kam erst dann. Aber damit haben sie mir einiges mitgegeben, was mich heute prägt, zum Beispiel den Drang, mich beweisen zu müssen, mir selbst gegenüber. Das hat ja schon fast bei mir manische Züge angenommen. Also danke dafür, denn sonst wäre ich nicht da, wo ich heute bin.

N: Banale Frage: Wann wusstest du, dass du schwul bist? 

P: Puh, weiß nicht mehr. Oh und ich würde auch nicht sagen, dass ich schwul bin, das möchte ich klarstellen. Denn ich würde mich niemals 50% der Menschheit verwehren. Frauen sind in meinen Gedanken die intellektuelleren, die empathischeren, sozialeren, schöneren und generell besseren Menschen, und jeder, der mir das Gegenteil beweist, kriegt von mir einen Hunni, denn dafür habe ich zu viel Scheiße mit Männern erlebt. Aber hey, Männer sind halt sexuell geiler. (lacht

N: Sehe ich auch so. 

P: Ich könnte mir durchaus vorstellen, irgendwann mit einer Frau eine Beziehung einzugehen. Das ist vor zehn oder 15 Jahren auch nicht so gewesen, hat aber auch für niemanden wirklich eine Bedeutung, außer für die Leute, die es betrifft. Warum sollte man sich für mein Sexleben interessieren?

N: Weil es interessant ist?

P: Das stimmt. Ich habe das interessanteste Sexleben auf der Welt.

Phil Porter by Nele Meyer

N: Wirst du gerne fotografiert?

P: Ja, mit großem Vergnügen, weil ich ja immer der Fotograf bin und es von mir nie Bilder gibt. Das nagt irgendwann an meinem Selbstbewusstsein. Und auf Dauer ist es sehr langweilig, sich selbst zu fotografieren. Ich habe das ein Jahr lang jeden Tag gemacht, als Projekt. Dem wird man schnell überdrüssig, viel spannender ist eben der Blick von außen. Man kennt sich selbst und seine Eitelkeiten ja gut, da können andere, interessantere Bereiche entdecken.

N: Früher hast du nur Schwarz/Weiß fotografiert. 

P: Ja, ganz am Anfang, so 2009, in den ersten drei – vier Jahren. 

N: Warum?

P: Ich habe Farben gehasst. Konnte mit ihnen nicht umgehen. Schwarz-Weiß war für mich die korrekte Darstellung, weil man da mehr mit Licht spielen konnte, und weil Farben nur ablenken. Später habe ich sie zu schätzen gelernt. Vielleicht weil ich das Bunte in mir mehr zugelassen habe. Und ich bin noch dabei. Wenn du meinst, das hier ist schon übertrieben, dann warte ab, bis mein Herz irgendwann ganz geöffnet ist. Es wird ein Zaubertheater! (lacht)

N: Was muss dafür passieren?

P: Ich selbst kann wenig dafür tun. Ich glaube, als Kind habe ich mich einmal fest verschlossen, und ich bin nicht in der Lage, das zu lösen. Dazu sind Begegnungen mit Menschen da, die irgendwann zu Vertrauten werden. Ich selbst habe die Schlüssel schon weggeworfen. Ich glaube, man selber kann zwar reflektieren, aber am Ende sind es die anderen, die einem etwas öffnen und ermöglichen.

N: Manche gehen zur Therapie. 

P: Fotografie und eben Begegnungen sind für mich ein Ersatz. Wenn ich zu einem unbekannten Menschen gehe, der dafür ausgebildet ist, mich zu ergründen, fehlt mir das Spiel. Wie zum Beispiel bei einem Flirt – andere Ebene, aber dieselbe Funktion.

N: Ein neues Berufsbild: Flirt-Therapie. 

P: Nicht umsonst wird man Salonlöwe. Man sucht jemanden, von dem man dressiert wird. Oder den man zerfleischen kann. 

N: Was ist deine größte künstlerische Angst? 

P: Gute Frage. Eigentlich bin ich furchtlos. Hatte aber neuerdings Panikattacken. Ich war neulich in der Stadt und dann wurde mir schwindelig, alles wurde auch lauter und größer… (überlegt) Vielleicht erlebst du gerade einen Moment der Erkenntnis. Ich habe Angst, dass ich noch empathischer werde. Ich meine das fernab jeder Koketterie, aber das wird für mich zum großen Problem. Ich laufe durch die Straßen und die Menschen müssen nichts sagen, sie müssen mich nicht einmal anschauen, aber ich habe trotzdem das Gefühl, ich kann ihre Stimmung und Gefühle erkennen. In der Fotografie ein Segen, auf der anderen Seite ist das eine enorme Belastung für mich, denn ich kann das nicht mehr abschalten. Viele freuen sich, weil sie das Gefühl haben, sich schnell einen Rat holen zu können, und für mich ist es so, dass ich es nicht von meinem Herzen lassen kann. 

N: Ist es nicht auch gleichzeitig ein großes Talent?

P: Wenn ich zugeben würde, dass ich ein Talent habe, hätte ich keins mehr.

N: Das klingt nach etwas, was Oscar Wilde hätte sagen können. Ist es Bescheidenheit?

P: Nein, Ansichtssache. Was für einen Talent ist, ist für andere unwichtig und irrelevant. 

N: Was ist für dich Talent?

P: Soziale Fähigkeiten. Ein respektvoller Umgang miteinander. Wer das hat, der hat für mich Talent. Das Spannende ist: Das haben nur wenige. 

N: Was ist mit dir?

P: Wenn ich es zugäbe… (schmunzelt) Manche würden sagen, ich bin das größte Arschloch, andere, dass ich der liebste Mensch und der heißeste Lover auf Erden bin. In dem Moment, wo ich zwei Menschen um eine Meinung frage, hat die erste keine Relevanz mehr, weil jeder eine andere hat.

N: Gibt es einen Bereich in deinem Leben, in dem die Kunst keine Rolle spielt?

P: Ja, in meinem Leben. (lacht

N: Schau dich um. Das hier ist doch dein Leben?

P: Na, mein Privatleben vielleicht. Ab wann ist etwas Kunst? Wenn ich Romantiker bin, geht das in die künstlerische Richtung? Ich kann mit schnellem Geficke nichts anfangen. Ich brauche das große Drumherum, eine Geschichte. 

N: Als wir uns kennengelernt haben, warst du verlobt. Was ist passiert?

P: Wir haben uns als Figuren auf einem Schachbrett in unterschiedliche Richtungen bewegt. Dieser enge Kreis einer Ehe ist vermutlich einer, der ganz viel vom Leben nimmt, statt zu geben. Es gibt Sicherheit, sie ist aber am Ende nicht das Wichtigste, was man im Leben braucht. 

N: Sondern?

P: Mut zum Risiko. Mut das Unbekannte zu entdecken. Das ist vor allem den Deutschen viel zu fern. Wir wählen die liebe Angela Merkel vor allem, weil sie für Sicherheit steht und nicht für Veränderungen. Aber was wäre die Menschheit ohne die mutigen Personen, die etwas wagen?

Phil Porter by Nele Meyer

N: Was macht ein Fotoshooting für dich erfolgreich?

P: Wenn ich das Gefühl habe, jemanden richtig interpretiert zu haben. Nicht zwingend, dass der Kunde am Ende glücklich ist. Bisher ist es in diesen acht Jahren vielleicht zwei Mal vorgekommen, dass ein Kunde sagte, es war scheiße. Es sollte eigentlich viel mehr passieren. (kichert) Mein größter Erfolg war, dass ein junger Mann, der einmal bei mir ein Fotoshooting hatte, mir am Tag später als Geschenk etwas zu essen vorbeigebracht hatte. Ich war erstmal so: „Hä, ok?“ Dieser junge Mann hat mich zwei Jahre später nochmal angeschrieben. Und den hab ich richtig gern. Und der mich, glaube ich, auch. Wir schreiben uns jeden Tag sehr viel, und das macht mich ungemein glücklich.

N: Das klingt romantisch.

P: Das ist es auch. Das ist der größte Erfolg. Ein erfolgreiches Shooting ist, wenn die Beteiligten alle Spaß hatten, es stellenweise enorm anstrengend war, sodass man Leidenschaft spürt (und da steckt Leiden drin), und dass am Ende die Bilder das zeigen, was ich von dieser Person gefühlt habe.

N: Leid ist für dich Erfolg? 

P: Ich glaube, Schmerzen gehören dazu. Ich halte Schmerzen für genauso wichtig wie Glücksmomente. Ich strebe nicht nur Glück an, ich möchte die ganze Palette kennenlernen. Gerade hatte ich eine fette Zahn-OP – ein tolles Detail für deine Leser. Erfolg bedeutet, dass man selber zufrieden mit sich ist. Und das ist doch immer nur eine Sekundenaufnahme. 

N: Ist das so bei dir?

P: Ist das nicht bei jedem so? Das Gefühl der Zufriedenheit ist vergänglich und daher etwas, was man sich immer wieder neu erarbeiten muss. 

N: Du veränderst dich immer wieder. Hat es auch eine dunkle Seite?

P: Ja, weil ich nicht mehr abschalten kann. Einerseits ist es positiv, weil ich unglaublich produktiv bin, geschäftlich und mit mir selbst. Die negative Seite ist, dass ich die Ruhe als höchsten Luxus sehe, der für mich nicht mehr erreichbar ist. Der Mensch, der mir das irgendwann wiedergibt, wird wohl derjenige sein, dem ich auf ewig verfalle.

N: Kannst du denn gut Ruhe aushalten?

P: Ja. Ich habe zwei Tage in der Woche frei, montags und sonntags, da haben wir immer geschlossen, und an diesen Tagen treffe ich mich oft nicht mal mit Freunden, weil ich die Zeit brauche, um neue Lösungen zu erarbeiten, oder mich inspirieren zu lassen. An den letzten drei oder vier Wochenenden war ich nur spazieren gewesen, immer alleine.

N: Gibt es eine Konstante in deinem Leben, etwas, was du niemals veränderst? 

P: Sicherlich nicht meine Ansicht. Die verändere ich ständig (überlegt). Ne…ist dir etwas aufgefallen?

N: Dein Wohnort. 

P: Ja, bisher. Aber ich würde nicht sagen, dass Bremen auf ewig der Ort sein wird, an dem ich bleiben möchte. Keine Ahnung, was noch kommt. 

N: Bist du bisher nicht weggezogen, weil du Angst vor Konkurrenz in großen Städten gehabt hast?

P: Nein. Konkurrenz ist nur dann da, wenn es eine Dopplung gibt, und gerade bei Fotografen ist das fast unmöglich, weil jeder seinen eigenen Stil hat. Insofern ist es ein luxuriöser Beruf. Ich denke, ich kann überall Fuß fassen. Dafür habe ich genug Selbstbewusstsein entwickelt, genug Ideen und Möglichkeiten. 

N: Bist du selbstkritisch? 

P:  So selbstkritisch, dass ich mich nachher ärgern werde, deine Frage beantwortet zu haben. (lacht)

N: Wärst du gerne bekannter?

P: Ja, wäre ich. Damit ich weiteren Leuten ermöglichen kann, mit mir zusammen kreativ zu sein. Nicht damit ich selbst große Prominenz erlangen kann, das ist mir eher verhasst. 

N: Warum? 

P: Ich bin zwar immer in der Öffentlichkeit und ich mag die Öffentlichkeit in gewisser Weise, aber es ist kein Antrieb, sondern eher Mittel zum Zweck. Damit wir, die drei Salonlöwen, die hier in den Käfigen sitzen, ab und zu hinauskommen und Fleisch kriegen. Dafür braucht es die Öffentlichkeit, die Werbung, die dafür sorgt, dass Menschen uns buchen und unsere Bilder kaufen.

N: Würdest du gerne weitere Leute einstellen?

P: Klar, nicht nur einstellen, sondern nach meinen Möglichkeiten auch fördern. Künstlerische Förderung fernab der Schule, ob in bildender Kunst oder Musik, ist, glaub ich, das, was uns am meisten fehlt.

N: Deine Fotos spielen oft mit dem Thema Religion. Ist sie für dich wichtig?

P: Nicht bewusst, nein. Ich kann dir aber sagen, dass ich mich momentan häufig in kirchlichen Räumen aufhalte. Dort finde ich die Ruhe, nach der ich so suche. Warst du schon mal im Bremer Dom? Das ist ganz wunderbar: Du gehst rein, hast die ganze Pracht noch nicht vor dir, gehst dann nach links, siehst die Hälfte des Kirchenschiffes, und wenn du dich hinsetzt und alles auf dich wirken lässt, dann ist das allererste, was dir auffällt, ein kleines und hässliches Kabel, das oben aus der Decke rauskommt. Und alles andere, das eigentlich schreit: „Schau mich an, ich bin handwerklich großartig gemeistert!“ und dieses Kabel, da oben, das passt absolut nicht zusammen. Dieses alte Gemäuer bringt auf den Punkt, womit Religion das größte Problem hat.

N: Mit dem Kabel?

P: Genau! Durch die Technologie haben sich die Menschen geändert und für sich einen anderen Geist gefunden. Es ist schwierig zu einem Gott zu finden, wenn man sich selbst für den größten Gott hält. Oder andere Menschen wie Popstars anbetet. Und genau das ist das Kabel. Es zeigt: Man kommt damit gar nicht zurecht.

N: Wir haben gerade eben darüber geredet, dass du Vergangenheit nicht magst, und dann habe ich auf deiner Toilette das Buch „Gutes von gestern“ entdeckt.

P: Hab’ ich geschenkt bekommen. Ist die perfekte Toilettenlektüre. Es zeigt, wie dämlich Vergangenheit ist. Da steht, was Menschen früher gedacht haben, was richtig und gut ist, um Beispiel, wie man rülpst, wie man seinen Mann richtig badet oder wie man richtig schwanger wird. 

N: Gibt es Sachen, die du nur für dich machst?
P: Ich onaniere sehr viel, das hat für niemand anderen einen Nutzen. Es sei, denn ich mache davon Fotos oder Videos. 

N: Kommt das vor?

P: Es kommt vor. (lacht

Phil Porter by Nele Meyer

N: Bist du der Chef, den man haben will?

P: Das ist die Frage, ob man das haben will: Unbegrenzter Urlaub, unbegrenzte Pause.  Es gibt auch Leute, die wollen gerne die Fesseln haben. Ich bin auch durchaus in der Lage, die zu geben.  

N: Auf deiner Homepage stehen die Worte „gelebter Größenwahnsinn“. Ist es dein Kredo?

P: Ein kleiner Mann, wie ich es bin, von höchstens 1,65 – der Begriff höchstens ist schon ironisch – der hat das gute Recht, größenwahnsinnig zu sein. Ich muss immer nach oben schauen. Ja, bin ich. Wünsche mir das bei vielen anderen auch. Größenwahn hat auch was mit Feuer zu tun. Ich wünsche Menschen dieses Feuer. Einen leidenschaftlichen Zugang zum Leben und zum Beruf. Viele machen nur noch ihren Job, aber keiner folgt mehr seiner Berufung. Viele wissen gar nicht mehr, wofür sie berufen sind. Wo liegt die Zukunft, warum und für wen machen sie was, womit werden sie glücklich? Ganz schlimme Fragen, und wenn man sich diese nicht beantworten kann, ist irgendwas falsch in der Gesellschaft. 

N: Konntest du sie dir schon immer beantworten?

P: Ja. Und ich habe mich auch verändert und auch neue Antworten gefunden. Ich wollte ursprünglich Schauspieler werden und Kabarett machen. 

N: Das wusste ich nicht. 

P: Du hast ja eben von meinem Geburtstag im barocken Stil geredet. Der Geburtstag darauf war eine Gothamparty, die hat noch eine Schippe draufgesetzt: Da hatten wir ein Auto zum Zerschlagen organisiert und all solche Sachen. Der nächste wird ein Ball im Stil der 20er und 30er Jahre, nur für engste Freunde, mit einer Big Band, und da erfülle ich mir selbst einen Wunsch: Ich werde den Abend selbst komplett leiten, die Stücke selbst singen. Meine Gäste sind in dem Fall mein Publikum. Das ist ein größenwahnsinniges Ding. Aber ich werde das machen. Warum denn nicht verdammt, dafür lebe ich doch. Ich werde mir ein schönes Leben machen, und anderen eine schöne Zeit bereiten. Ob sie dann so schön ist, wenn ich singe, werden wir noch herausfinden. (lacht)

N: Hab ich eine wichtige Frage vergessen? 

P: Vielleicht so Smalltalkfragen wie „wie geht’s dir“?

N: Wie geht’s dir denn?

P: Schlecht natürlich, alles andere wäre ja nicht von Interesse. (lacht)

N: Warum geht’s dir schlecht?

P: Weil ich momentan wieder zu viel über mich selbst nachdenke und generell alles in Frage stelle. Viele Faktoren sagen mir, es steht gerade ein neuer Schritt an und da bieten sich viele Richtungen an. Dieses Nicht-Ankommen, worüber wir schon gesprochen haben, beschäftigt mich momentan sehr stark, weil diese Rastlosigkeit irgendwann zum Verschleiß führen kann. Wenn du dich nicht permanent stoppst, gewöhnst du dich an dieses Tempo. Ich müsste vielleicht ein bisschen anhalten, Ruhe walten lassen, und das erfordert den gleichen Mut, wie immer Gas zu geben. 

N: Das klingt in der Tat nicht so schön. 

P: Ist aber ein normaler Prozess für jeden Selbständigen, der sich entwickeln oder den Mitarbeitern die Chance geben will, sich selbst zu entwickeln. Erst überwindet man sich, es zu machen, dann hat man Angst, dass man scheitern könnte, aus der Angst resultiert das Tempo, damit man nicht scheitert, dann läuft’s irgendwann gut, und man kann sich vergrößern. Das macht man aus zwei Gründen: Entweder man will selber ganz viel Kohle haben, was bei mir nicht der Fall ist, das ist mir scheißegal, oder man kann Menschen ermöglichen, das zu machen, worauf sie Bock haben. Das ist es. Im Grunde genommen ist es eine Familie, eine wunderbare Familie. Und dann hat man aber auch Verantwortung.

Zur Webseite von Phil Porter + Eine Fototour durch sein Atelier 

 

Natalia Sadovnik